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UNTER EMIGRANTEN - GENERATION Y

Prosa als hybride Kalligraphie im öffentlichen Raum von Berlin

Unter Emigranten - Generation Y @ ZK/U ist Teil einer Reihe mehrsprachiger Kalligraphie-Wandgemälde im öffentlichen Raum Berlins, die auf der Kurzgeschichte „Unter Emigranten“ (1923) basiert, die der jüdische Schriftsteller David Bergelson in den 1920er Jahren in Berlin verfasste.


Bergelsons Text bietet eine Studie über die verschiedenen Formen der existentiellen Krise, die durch das Exil ausgelöst wurden. In der Geschichte projiziert der Autor seine eigenen Ängste auf den Protagonisten, nämlich dass auch er eines Tages von seinem hart erkämpften Status als erfolgreicher professioneller Autor auf das Niveau eines verrückten Vagabunds abrutscht, der absurde Geschichten erfindet und von deren Nutzen für seine Mitmenschen überzeugt ist. Er beschreibt damit metaphorisch die Angst eines Künstlers, seine Kultur und Sprache zu verlieren.


Wie auch in der Kurzgeschichte, versucht das Projekt den inneren Konflikt zwischen einer alten Identität und einer neuen Kultur zu harmonisieren. Der Kampf um die Integration und Erhaltung der eigenen kulturellen Wurzeln. Gleichzeitig wird eine Symmetrie zwischen der Weimarer Hauptstadt und dem zeitgenössischen Berlin als kreatives Produktionszentrum gezogen. Mehrsprachige Verse aus dem Originaltext sind Instrumente, um einen Dialog zwischen verschiedenen Migranten- und Migrationsgemeinschaften im heutigen Berlin zu gestalten. Das Ergebnis wird auf einer Reihe von Wandgemälden dargestellt, auf denen verschiedene Sprachen sich ineinander integrieren, um die kulturelle Hybridität Berlins auf visuell harmonische Weise zum Ausdruck zu bringen.


Das Wandbild im ZK/U Berlin deutet auf einen Zusammenhang zwischen der Geschichte Geländes als ehemalig zentraler Mobilitätspunkt der Stadt und seiner zeitgenössischen Funktion als kulturelles Austauschzentrum auf der einen Seite, mit der konzeptionellen Ausrichtung auf Vergänglichkeit und Temporalität auf der anderen Seite hin. Die Schriften an gegenüberliegenden Wänden des Gebäudes erzeugen ein kreisförmiges Erlebnis. Die Schlinge dreht sich an jeder Wand einzeln weiter, indem die gleichen zwei Fragen immer wieder in drei Sprachen (Jiddisch, Arabisch und Deutsch) wiederholt werden: „Von wo?" und „Wohin?“. 
Die Kalligraphie wird mit Kalkfarbe aufgetragen, die nach einigen Jahren verblasst. Die Wahl des Mediums unterstreicht wiederum das Gefühl der Temporalität, mit dem so viele Migranten konfrontiert sind.

Der Autor & die Künstlerin

David Bergelson gilt als einer der führenden jiddischen Schriftsteller des zwanzigsten Jahrhunderts. Als bereits bekannter Autor, zog er 1921 nach Berlin als Teil einer massiven Flüchtlingswelle, an der viele jiddische Autoren, Dichter und Gelehrte teilnahmen. 1934 war Bergelson einer der letzten seiner Gruppe, die Berlin verließ und nach Moskau übersiedelte. Dort folgten 20 fruchtvolle Jahre künstlerischer und politischer Aktivitäten für Bergelson und seine Kollegen. Auf Grund ihrer Mitgliedschaft im Jüdisch Antifaschistischen Komitee (JAFK) wurden sie im Rahmen von Stalins antisemitischer Kampagne gegen die „wurzellosen Kosmopoliten“ wegen Landesverrats angeklagt und 1952 in der „Nacht der ermordeten Dichter“ hingerichtet.


Ella Ponizovsky Bergelson (1984, Moskau), David Bergelsons Urenkelin, genau 100 Jahre nach Bergelsons Geburt geboren, ist eine Kalligraphie-Künstlerin mit eigenem Migrationshintergrund (Russland-Jerusalem-Tel Aviv Yafo-Berlin). Sie nutzt die Visualisierung von Sprache um Multikulturalität zu etablieren. Verschiedene Sprachen bilden ein visuell einheitliches Ergebnis. Ihr Ansatz: „Sprache und Typografie sind definierende Elemente einer Kultur. Indem sie strenge Regeln vorgeben, erheben sie für sich Unantastbarkeit und Unabhängigkeit, sowie inhaltlich als auch visuell. Hybride Kalligraphie ist ein Widerspruch zu dieser Annahme.“